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J.N. David zum 100. Geburtstag (30.11.1995)

Von Johannes Forner, Leipzig

Gleich drei Komponisten geben in diesem Jahr (1995) Anlaß, ihrer in besonderem Maße zu gedenken: Carl Orff, Paul Hindemith und Johann Nepomuk David- dreimal Jahrgang 1895, drei völlig verschiedene "Grundtöne", die sie in ihrem Leben angeschlagen haben, drei Möglichkeiten des Umgangs mit Musik! Johann Nepomuk David ging sicherlich den unbequemsten, unspektakulärsten Weg von ihnen. Sensationen, "Sogwirkungen", Uraufführungsskandale oder ähnliches verbinden sich mit seinem Namen nicht, wohl aber Tiefenwirkung, Anspruch und die Herausforderung, auch steinige Wege zu gehen, um an die unverstellten Wahrheiten der Tonkunst zu gelangen. In Fachkreisen gilt er als "Insidertip" für kontrapunktisches Geheimwissen, konsequente Linearität und kompromißlos herbe Stimmführung. David- der große Kontrapunktiker sowohl in seinen Orgel- und Instrumentalkompositionen als auch im vielgestaltigen Vokalwerk! Sein polyphones Denken resultiert jedoch nicht aus sklavischer Bindung an zurückliegende große Epochen der Musikgeschichte, es deckt sich vielmehr mit dem Wort Gesinnung und meint damit etwas zutiefst Produktives.

Als Kompositionslehrer hat er seinen Schülern vorgelebt, was ihm selbst als unverzichtbar galt: die völlige Beherrschung des Handwerks als Ausgangspunkt (nicht als Endzweck) für die eigene künstlerische Absicht. Komponieren verstand er als ein "Bauen" ("Eine Komposition darf sich nicht als Stimmung, sondern muß als Bau empfunden werden, sonst wird sie langweilig"), und insofern hat sein Vorgehen schon Ähnlichkeit mit dem Verhalten, den Erfahrungen und Geheimnissen mittelalterlicher Bauhütten. Der Katholik David trug zunächst die sinfonische Erblast Anton Bruckners mit sich. In Leipzig erfuhr er dann unmittelbar die lebendige Pflege der Werke des Protestanten Johann Sebastian Bach- eine Erfahrung, die eine Generation vor ihm der Süddeutsche Max Reger in sich aufnahm- wenngleich das spätromantisch hypertrophierte Neobarock Regers für Davids Schaffen keinerlei Brücke darstellt. In seinen Vokalwerken knüpft er hingegen an die emotional geladene Tonsprache eines Josquin Deprez an. Und als Sinfoniker großen Formats hat er sich gerade in der Leipziger Zeit mit vier gewichtigen Werken erwiesen.

David wurde am 30. November 1895 in Eferding (Oberösterreich) geboren. Aufgewachsen (auch musikalisch) im Chorherrenstift St. Florian, wirkte er viele Jahre als Volksschullehrer in der Provinz, studierte nebenher in Wien Musik, gründete 1925 in Wels den Bach-Chor und war dort bis 1934 als Organist tätig. Seine eigenwillige Komponistenhandschrift erregte bald das Interesse der Fachwelt. So folgte er 1934 einem Ruf an das damalige Landeskonservatorium in Leipzig, wo er - als Nachfolger von Kurt Thomas - Lehrer für Tonsatz und Chordirigieren wurde, zugleich die "Kantoreien" am Kirchenmusikalischen Institut leitete. Sein überragendes Format als Künstler und Pädagoge prägte bald das geistige Klima am Konservatorium, geriet aber zunehmend in Widerspruch zu Ideologie und Politik des NS-Staates. Davids Einzelkämpfernaturell ließ von vornherein eine Anbiederung an die damals Herrschenden nicht zu. So wurde er (vor allem nach seiner mutigen Aufführung von Strawinskys "Psalmensinfonie" 1938) mehr und mehr beargwöhnt. Seine Ernennung als Professor verzögerte sich deshalb bis ins Jahr 1943 (eine Methode, die so mancher heutige Hochschullehrer aus DDR-Zeiten wiedererkennt).

Als 1942 Walther Davisson, der damalige Direktor des inzwischen (1941) zur "Staatlichen Hochschule für Musik" ernannten Landeskonservatoriums, wegen "arischer" Bedenken zum Rücktritt gezwungen wurde, kamen die zuständigen NSDAP-Behörden nicht umhin, David als unumstrittene Autorität der Hochschule "mit den Amtsgeschäften des Direktors" zu betrauen. Also nur "kommissarisch"- denn David war kein Parteimitglied- und so blieb es beiderseitig bei diesem Zustand bis 1945. Danach ging er als Kompositionslehrer an das Salzburger Mozarteum, folgte 1948 einer Berufung an die Musikhochschule in Stuttgart. Dort unterrichtete er bis 1963. Er starb am 22.Dezember 1977, 82jährig, in der Stadt seines letzten Wirkens.

Johann Nepomuk David hat in schwersten Zeiten des "totalen Krieges" die Leipziger Hochschule zwar nicht vor der Bombardierung bewahren können, aber vor der totalen ideologischen Vereinnahmung. Das bezeugen noch lebende Zeitgenossen, und wir wissen es aus den Schilderungen unserer Lehrer, die Davids Kollegen waren. In letzter Zeit ist auch er, was die Leipziger Jahre betrifft, in die Kritik geraten. Dazu ist nur zu sagen: Wer nie in einem totalitären System ohne Gesichtsverlust leben und wirken mußte, sollte sich zurückhalten mit vorschnellen Urteilen über Menschen, die aus innerer Verantwortung zwischen Skylla und Charybdis gehandelt haben. Im Abstand eines halben Jahrhunderts ist es ziemlich einfach festzustellen, was damals richtig und nützlich oder falsch und verwerflich war.

Wir ehren Johann Nepomuk David als einen bedeutenden Komponisten und Lehrer, als eine Persönlichkeit von hoher moralischer Integrität, als einen Menschen, dessen geistiges Format hineinstrahlt in die Niederungen und oftmals trostlosen Ebenen unserer Zeit.
(aus dem MT-Journal, Zeitung der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig, Ausgabe 1, Wintersemester 1995/96, S.2)

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